Hufe wegziehen - Unerzogen oder stiller Schmerz?
- michael und ilona

- 9. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Aug.
Ist dein Pferd unerzogen oder missverstanden?
Manche Pferde ziehen die Hufe weg. Sie steigen. Sie zappeln.
Und oft heißt es dann: "Unerzogen."
Aber was, wenn genau dieses Verhalten ein letzter Versuch ist, sich mitzuteilen?
Wenn das Wegziehen kein Widerstand ist sondern ein Schutzmechanismus?
In diesem Beitrag geht es um zwei Pferde, zwei Fälle, zwei Verläufe und ein gemeinsames Muster.
Und darum, dass wir Menschen nicht unterscheiden können, wenn wir nur wollen, dass ein Pferd „funktioniert“.
Sulli
Sulli war ein großer, kräftiger Wallach.
Er zog die Hufe weg, stemmte sich gegen jede Berührung und rannte seine Besitzer über den Haufen, sobald der Hufbock ins Blickfeld rückte.
Die Besitzer probierten alles mögliche: Verhaltenstraining, Belohnung, etc. pp.
Die Verzweiflung wuchs mit jedem Termin, aber eine empfohlene weiterführende ärztliche Diagnostik wurde abgelehnt: „Er läuft doch."
Erst viel später – als Sulli langsam zu lahmen begann – kam es doch zu einer Untersuchung.
Wenn Verhalten ein Hinweis ist und kein Trotz
Was vorher als „Problem beim Hufegeben“ galt, war in Wahrheit ein mechanisches Drama im Huf.
Spätestens jetzt war offensichtlich, dass Sullis Wegziehen keine Sache von Unerzogenheit war. Es war ein stiller Schrei.
Die Hufknorpel in beiden Vorderhufen waren verknöchert (ossifiziert) und drei davon bereits frakturiert. Der Umbau hatte sich über lange Zeit "unbemerkt" vollzogen.
Nun verursachten die freien, teils scharfen Knochenfragmente in der Hufkapsel chronische Mikroverletzungen im Hufinneren und ständigen Schmerz bei Überlastung.

Sulli lebt. Mit einem orthopädischen Beschlag. Der Huf und die Statik konnten stabilisiert werden, sodass sich die Fragmente "verkapselt" haben und kaum noch Probleme bereiten.
Curcuma
Curcuma war Lollis Stallkollegin. Auch sie wurde in der gleichen Klinik vorgestellt.
Auch sie bekam dieselbe Diagnose: „Palmar-Foot-Syndrom“.
Auch bei ihr folgte ein Klinikbeschlag – unter Sedierung.
Doch Curcuma zog nicht einfach die Hufe weg oder verweigerte... Sie ließ niemanden an sich heran. Sie wand sich wo sie konnte, sie stieg.
Was viele Besitzer an den Rand der Geduld treibt, und oft dafür sorgt, dass Pferde mit Strenge "diszipliniert" werden, ist oft in Wahrheit: ein stummes „Hör auf“.
Curcuma konnte nicht. Da brachte auch eine Sedierung nichts.
Das Beschlagen zuhause klappte (wie bei Lolli) verhältnismäßig gut, doch die Zweifel und Anhaltspunkte, dass etwas ganz Anderes im Argen lag, sammelten sich im Laufe der Wochen:
Gewisse Bewegungen wollte Curcuma nach wie vor nicht ausführen und reagierte sofort mit Abwehr
Das Hufegeben verlief trotzdem kooperativ ohne steigen, aber es verbesserte sich nicht
von den Besitzern durchgeführtes Training verschlimmerte die Situation
die Beschläge flogen jedes Mal weg, es fand sich kein "richtiger" Beschlag und keine "richtige" Stellung
Noch vor dem ersten Besuch fiel auf einem Röntgenbild eine Auffälligkeit am Fesselbein auf. Es sei ein unbedeutender "Zufallsbefund", dem bisher keiner Beachtung schenkte.
Wer nur erziehen und wegtrainieren will, verpasst vielleicht den Moment, in dem noch etwas zu retten wäre.
Nach einem offenen Gespräch mit den Besitzern und der eindringlichen Bitte, "dieser einen Auffälligkeit" nachzugehen - auch wenn es unbedeutend sei - stand kurz darauf eine Untersuchung an. Fahrzeit in eine Fachklinik 3 Stunden.
Der Professor dort wollte die Untersuchung gar nicht erst durchführen: Er ginge doch keinem Verdacht eines Huftechnikers nach, nur weil dieser die Eisen nicht richtig anbringen könne. Er habe wohl keine Ahnung und solle einfach die Fehlstellung korrigieren.
Die Besitzer setzten sich durch und so kam es, dass der Professor beim Auswerten der Bildgebung plötzlich ziemlich ernst wurde. Denn genau dort, an der unbedeutenden Stelle, saß eine massive Knochenzyste. Mittlerweile so irreversibel fortgeschritten, dass man jeden Moment mit einem Bruch des Fesselbeins hätte rechnen müssen. Der Knochen war nur noch wenige Millimeter dick.
Curcuma kam nicht mehr nach Hause. Sie galoppiert nicht mit Lolli über die Weide.
Aber ihre Geschichte zeigt: Wegziehen ist kein Trotz. Es ist Ausdruck.

Ein Pferd sagt nicht "ich will nicht".
Ein Pferd sagt "ich kann nicht".
Sullis Rempeln war kein Erziehungsproblem. Und Curcumas Steigen keine Abwehr. Es sind Versuche, sich mitzuteilen. Mit Hoffnung, dass wir begreifen.
Was bleibt?
Für dich vielleicht die Erkenntnis, dass das Verhalten der einzige Weg ist, den dein Pferd hat, um dir etwas mitzuteilen. Denn wie sonst soll ein Pferd seine Grenze zeigen, wenn es nicht sprechen kann?
Wie sagt ein Pferd, dass etwas nicht stimmt? Wenn der Körper das Einzige ist, was es zur Verfügung hat?
Vielleicht fangen wir damit an, aufzuhören. Aufhören zu erwarten, zu fordern, zu trainieren und zu bewerten. Dann bleibt Zeit zum Auf Hören und Erkennen.
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